Vigilante

Manchmal bekomme ich zu hören, dass ich nicht so deutsch sein soll. 

Damit meinen die Locals, dass man nicht so viel planen soll und dass manche Dinge einfach dauern. Eine Stunde in der Schlange vom Supermarkt mit 5 Leuten vor einem, das ist halt so. 

Ich habe Leute mit mehr Zeugs auf dem Radl gesehen, aber auch mit weniger. Auf den Kocher hätte ich nicht verzichten wollen, der ist auch bei geplanten Biwakbergtouren dabei. Mein Daunenschlafsack mag ich, die dicke Luftmatraze ebenso. Das Zweimannzelt ist nur einen Tick schwerer als die Singlevariante, bietet aber mehr Platz.

Ob man wirklich 5 Gewürze braucht, kann man überlegen, aber das Essen wird nicht eintönig. Gut fürs Gemüt. 

Werkzeug hatte ich außer dem Multitool und dem Engländer nicht gebraucht. Weder das Flickzeug, den Ersatz schlauch, die Abzieher, noch die Kette, noch die Speichen, noch das Hydrauliköl für die Bremsen. Medikamente auch nicht, ein paar Aspirin, ein paar Pflaster, Magnesium und Zink reichten locker. 

Das zweite Paar warme Socken wird vermutlich beim Trekking zum Einsatz kommen. Die lange Unterwäsche auch. 

Ansonsten war nichts dabei, was ich nicht hergenommen habe. Ohne den Kindle ginge es auch, aber praktisch ist die Akkulebensdauer schon. 

Verletzungen gab es keine, eine kleine Narbe, als eine Dose Pfirsiche nach meinem Finger schnappte. Ein paar Kratzer, ein paar Insektenstiche. 

Pannen hatte ich bis auf die Gepäckträger genau gar keine. Die Tachohalterung habe ich ja selbst geschrottet. 

Verloren habe ich eine Stirnlampe (ärgerlich, im Süden braucht man eh keine, aber ich hatte die gerne) und eine fast neue Gletscherbrille. Die muss mir der Wind aus der Lenkertasche geangelt haben (doof,  weil neu und eher die obere Julbo-Liga). Und eine Dose Dulce con Leche. Verschmerzbar.

The joy of traveling

ist schnell vorbei, wenn man auf die Schnelle noch ein Fahrrad verpacken muss. Eigentlich hieß es, dass unverpackt besser sei, aber das kam bei den Lantam-Mädels noch nicht an. Also halt schnell was improvisieren mit Pappschachteln aus dem Duty-Free-Shop. Geschafft.

Dann noch mit dem Securitygichtl über Fútbol diskutiert, der war der Meinung, dass ich wohl jedes Bayernspiel sehen würde, wenn ich doch aus der Ecke sei. Ich hab dann gemeint, dass an Messi sowieso keiner herankommt und Maradona ganz klar unerreicht sei. Dafür hat er dann die Schnellspannerachsen, die er so komisch beäugte, wieder in die Lenkertasche gelegt. Brav.

Dafür.war der Flug lustig. Einer der Saftschubser hatte Geburtstag, der Käptn hat das durchgesagt und der ganze Flieger hat dann cumpleaños feliz gesungen.

Abschied

Heute ist großer Aufbruch im Lo de Momo, dem Hostel. Jesse, ein Amerikaner, der mich vor O’Higgins überholt hat,  fliegt heim. Patrick aus Frankreich nimmt das Schiff nach Pto Natales und will noch eine Runde radln. Er schreibt unter http://itinerancevelo.blogspot.com.ar/.

Irgendwie lustig, ein anderes Blog der gleichen Reise zu lesen. Ganz am Anfängt schreibt er:

Je vais bientôt rentrer dans une nouvelle vie.
Celle du temps libre.
Celle du moment ou le rêve peut devenir réalité.

Schön gesagt. 

Mei

A bisserl mehr hätte ich mir schon vorgestellt. Also so im HHGTG-Sinn spektakulär. Flammenumzogene Buchstaben. Feuerwerk. 

Na. Dann halt nicht. Passt schon. 

Mir geht’s gut, habe heute ein wenig geplant, in zwei Tagen geht’s nach Buenos Aires und dann nach Montevideo. Dann wieder zurück nach BA und weiter nach Mendoza. Dort dann ein wenig Trekking und zurück nach Santiago.

Die Stadt

ist erstaunlich groß. Abseits der Hauptstraße mit den üblichen Andenkenläden sieht man kaum Touristen. Aber es gibt Frisöre. Gute Sache. 

Der Fokus ist ein wenig anders, der Bericht über das Attentat in Istanbul ist auf Seite 5, vorher geht’s um den ersten neuen Feuerländer des Jahres, um Alkoholkontrollen und um die Neuorgansisation der Sammeltaxis.

Am offiziellen Selfie-Ort noch ein Pärchen aus Uruguay getroffen, die meinten, dass Montevideo ganz hübsch sei. Sind ja nur ein paar Stunden mit dem Schiff von Buenos Aires. 

Und wenn es regnet, dann gscheit. Aber nicht lange. 

Slow day


Die Rennleitung hat mich gestern um 22:00 aus der Cabaña gestaubt, ich bin ins Hauptgebäude umgezogen, als die dann weg waren, in der Hoffnung, dass sie mich da nicht entdecken. Heute war ich ein wenig bergsteigen, der Fels hier ist ein wenig brüchig – je nach Gesteinsschicht. Also jeden Griff, jeden Tritt erst mal testen. Es kann durchaus sein, dass ich der erste auf dem Gipfel war. Ich habe den mal Cima Johanna getauft.
Unten waren dann vier Ushuaiaer beim Grillen, wir haben ein wenig gequatscht und ich wurde mit Grillfleisch und Wein gefüttert. Und dann kam noch Miguel aus Cadiz in Spanien, ein Architekt, der seit drei Jahren um die Welt radelt.

Der Typ ruht in sich. Meine Güte, ich habe ja viele Menschen kennengelernt bisher, aber der ist der Chefyogi. Sowas von entspannt und fokussiert. Und endlich mal verständliches castillano.

Am Abend die üblichen Nudeln, aber mit einer Wunderkerze von Mutter.

Traumtag.

Lost place


Gestern abend noch lecker Ñoquis mit einer Rind+Huhnsoße gegessen. Und die abartig teure Unterkunft über booking storniert, auf mehrfache Empfehlung fand ich was günstigeres. Die haben kein Onlinedings und sind auch nicht auf den üblichen Buchungsplattformen, aber ich glaube, dass sie mich am Telefon verstanden haben. Ich habe unter meinem Tarnnamen Bernhardino reserviert, Bernd geht nicht in hispanohablante Ohren.
Heute dann erst mal gemütlich ausgeschlafen. Naja, bis die Jungs von der Baustelle beim Nachbarn halt angefangen haben. Langsam losgerollt, windstill, bis auf ein paar Altocirruswolken strahlender Sonnenschein. Ziemlich wellig am See entlang, dann durchs Land zum nächsten See. Dazwischen gab es noch einen Kaffee mit Quittenkuchen auf einer Estancia. Wenn deren Restaurant am Abend aufgehabt hätte, wäre ich dort geblieben. 

Dann kam die Abzweigung zum aufgelassenen Hostel. 

Schon cool, die haben so um die 30 Zimmer (teils mit Whirlpool) und 8 Cabañas. Ich hab mir die schönste mit den meisten erhaltenen Fenstern ausgesucht. Der See ist unter meinem Eingang. Ich hätte eine Angel mitnehmen sollen. Ich habe noch Zeit, also bleibe ich hier einen weiteren Tag.

Es fehlen nur noch ein Pass mit 400 hm und ein paar Kilometer bis Ushuaia.

Schade, dass ich mit Peter Hoegs „Der Susan Effekt“ durch bin. Sehr kurzweilig, wie fast alles von ihm. 

56 km, 3:40 h, 500 hm, 12 Grad um 19:00, tagsüber fast windstill. 

Ein paar Kurven weiter

und ein wenig horizontalem Regen, gefolgt von Sonnenschein bin ich in Tolhuin. 


Nothing to write home about, aber es gibt einen La Anónima, quasi Aldi in Groß. Komischer Name für eine Supermarktkette. Aber ich bin ausgerüstet für den Schlusspurt. Sogar eine Gaskartusche hatten sie. Meine zickt herum, irgendwer schenkte mir eine weitere. Ich weiß aber nicht, wie voll die ist. Also lieber mal Reserve bunkern. Ein Tag ohne einen Liter Tee in der Früh wäre kein Vergnügen. Und ohne Spaghetti am Abend nicht lebenswert. 

Verfahren

Beim Weg raus aus Rio Grande habe ich mich auf google maps verlassen. Das war ein Fehler, der Weg sei unpassierbar, wie mir mehrere Locals mitteilten. Also wieder zurück in die Stadt, durch endlose Industriegebiete. Gegen den Wind. Die einzige Hoffnung war eine Tankstelle, die man schon seit weitem sah. Kaffee, Fruchtsaft, vielleicht beides. Leider war es noch eine Baustelle. 
Danach wurde es welliger, langsam tauchten Bäume auf. Eine willkommene Abwechslung.

Immer wieder mal Graupelschauer, eine halbe Stunde später wieder Sonnenschein. Ich habe ja genug Zeit, also habe mein Haus recht früh aufgestellt an einem Bach. Und erst mal geschlafen. War wohl anstrengend. 

Ich spüre das nicht mehr, der Körper wird regelmäßig mit Wasser und Futter versorgt, immer bevor ich Hunger oder Durst verspüre. Es hat lange gedauert, den Rhythmus zu finden, jetzt klappt es ganz gut. 

Die ersten 15 km gegen den Wind haben fast drei Stunden gebraucht, dann war es recht einfach. 

Die zwei von http://www.wetzlospanamericana.de fuhren kurz vor mir los, ich habe ein paar Tipps bekommen. 

Unterwegs noch ein Pärchen aus Kanada getroffen. 

Mag sein

Aber die Alternative ist halt einsame Bedeutungslosigkeit. Das mit dem Goldschürfen hat nicht geklappt, Schafzucht ist seit dem Aufkommen der synthetischen Fasern auch nicht mehr der Bringer, Öl gibt es zu wenig, für nennenswerten Fischfang ist das Wasser zu kalt.

Um die vorletzte Jahrhundertwende liefen die wenigen Menschen hier noch in Tierfellen(1) herum, El Calafate, heute eine Tourihochburg, war noch in den 50ern eine staubige Ansammlung von 4 Bauernhöfen. 

Mag ja sein, dass das den ursprünglichen Charakter ausmacht und ein wenig dem rustikalen Zauber entspricht, den wohl jeder hier sucht, aber die 75″ Fernseher gab es halt auch nicht. Die Verklärung der Vergangenheit bringt einen da nicht weiter. Die Idee, den Tourismus mit prohibitive Preisen einzudämmen, ist charmant, löst aber das Problem der sich verlierenden kulturellen Identität nicht.
Wobei die ja eine noch kürzere Laufzeit als die der USA hat. Die meisten Einwanderer kamen um 1910 herum, hier Kroaten und Chiloer. Und haben durch die Landbesitznahme die indigen Mapuche vertrieben.

1) ein deutscher Missionar hat um 1900 die ikonografischen Bilder gemacht, von Menschen mit diesen großen weißen Punkten und Strichen, die hier überall herumhängen. Mehr als 2000 Aufnahmen (!). Keine Ahnung, wie der die Filmplatten hier herunter bekommen hat. In Santiago durfte ich einen Teil in einer Ausstellung sehen.

Polaroids from the stone age.

Ohne Stollen

wäre es kein Weihnachten. Der hier ist lecker, mit Nüssen und Kastanien. 

Die nette Verkäuferin ließ mich ein Stück probieren. Als ich meinte, das sei aber schon hoch an Kalorien, sagte sie, ich könne das vertragen; dann erzählte ich ihr, dass ich nur 5 kg verloren hätte auf dem Weg bisher. Die Apotheke hatte eine Waage.

Beaufort, Du alte Nase

War schlau, sich ein festes Dach zu suchen. Das Zelt hätte das vermutlich nicht überlebt.

10 bft bedeutet in etwa:  Man kann bei dem Wind mit knapp 100 km/h den mittleren Ring vom englischen Garten zum Olympiastadion (dürfte in etwa WSW sein) entlangfahren, das Schiebedach aufmachen, den Oberkörper rausstrecken, sich eine drehen und anzünden.